I.
So schweige nun. Auch ich will schweigen, denn
wo wäre irgend Rede diesem Schweben?
Schon hast Du ja dem leise neigenden
fühlenden Winde fühlend nachgegeben.
Befürchte nichts, er wird nie wilder sein;
doch, da uns Kräfte rätselhaft umkreisen,
schließt sich um uns ein Kreis: Gewalt ist ein
Entschlossenstes im Stärksten wie im Leisen.
2
Ob ich regnen kann, ich weiß es nicht,
über Dir Du sanfteste der Matten.
Vielleicht bin ich nur der Wolkenschatten,
der Dein Glühendliegen unterbricht.
Bin der Wind, der diese Wolke treibt,
bin ihr leicht verwandeltes Volumen,
bin die Macht, die Deinen klaren Blumen
schattige Verhaltung einverleibt.
3
Stille, wehende Wiese,
was Du auch je verlörst -,
wisse die Paradiese,
denen Du zugehörst.
Fühle die kühleren Haine,
die Dich umgeben rings,
und bestärke das reine
Schwanken des Schmetterlings.
4
Ja: jedes Bild ist Mauer. Laß uns ohne
daß wir ein Bild bemühn, vertrauter sein.
Ich denke zärtlich nur, wie ich Dich schone -,
Du aber winde eine Blumenkrone
und wirf sie in den nächsten Bach hinein.
Nichts ist verloren, alles giebt sich weiter.
Verschwende an den unbekannten Freund
die Freude Deiner täglichen Begleiter
und alles, was Dich heimlich macht und heiter,
bis zu der Luft, die Dir die Hände bräunt.
5
Vielleicht vom Abendsonnenschein belebt,
wird das Erwarten selber zur Vollendung;
da geben sich die Fernen ohne Blendung -vielleicht vom Abendsonnenschein belebt.
Vielleicht vom Abendsonnenschein belebt,erscheinen diese Perlen lang getragen,
obwohl sie gestern noch im Meere lagen -vielleicht vom Abendsonnenschein belebt.
Vielleicht vom Abendsonnenschein belebt,
sind wir die Gleichen und die immer Neuen -,
und doch ist dieses Freuen unser Freuen,vielleicht vom Abendsonnenschein belebt.
6
Daß uns das Sternbild nicht fehl,
halten wir uns am Entlegnen;
wo sie dem Schicksal begegnen,
machen die Sterne kein Hehl
aus ihrer Neigung, zu regeln,
was sich in ihnen gewahrt -,
über den wagendsten Segeln
stehn sie als Zeichen der Fahrt.
Welche Dein werbender Bogen
Dir auch gewinnen mag:
fühle Dich einbezogen,
stärke die Sterne bei Tag.
7
(Daß sie Dir einmal entgelten,
tief in die Nächte gepflanzt,
daß Du zu älteren Welten
mit vergänglichem Herzen standst!)
Aus: Die Gedichte 1922 bis 1926 (Briefwechsel in Gedichten zwischen Rainer Maria Rilke und Erika Mitterer, aus der sechsten Antwort, Ragaz, 21./ 22. Juli 1924)