Und wenn uns eines Tages dieses Tun
und was an uns geschieht gering erschiene
und uns so fremd, als ob es nicht verdiene,
daß wir so mühsam aus den Kinderschuhn
um seinetwillen wachsen -: Ob die Bahn
vergilbter Spitze, diese dichtgefügte
blumige Spitzenbahn, dann nicht genügte,
uns hier zu halten? Sieh: sie ward getan.

Ein Leben ward vielleicht verschmäht, wer weiß?
Ein Glück war da und wurde hingegeben,
und endlich wurde doch, um jeden Preis,
dies Ding daraus, nicht leichter als das Leben
und doch vollendet und so schön als sei's
nicht mehr zu früh, zu lächeln und zu schweben.


Rainer Maria Rilke - Neue Gedichte (1907)
Brau uns den Zauber, in dem die Grenzen sich lösen,
immer zum Feuer gebeugter Geist!
Diese, vor allem, heimliche Grenze des Bösen,
die auch den Ruhenden, der sich nicht rührte, umkreist.

Löse mit einigen Tropfen das Engende jener
Grenze der Zeiten, die uns belügt;
denn wie tief ist in uns der Tag der Athener
und der ägyptische Gott oder Vogel gefügt.

Ruhe nicht eher, bis auch der Rand der Geschlechter,
der sich sinnlos verringenden, schmolz.
Öffne die Kindheit und die Schoße gerechter

--- gebender Mütter, daß sie, Beschämer der Leere,
unbeirrt durch das hindernde Holz
künftige Ströme gebären, Vermehrer der Meere.

Mehr nicht sollst du wissen als die Stele
und im reinen Stein das milde Bild:
beinah heiter, nur so leicht, als fehle
ihr die Mühe, die auf Erden gilt.

Mehr nicht sollst du fühlen als die reine
Richtung im unendlichen Entzug -
ach, vielleicht das Kaltsein jener Steine,
die sie manchmal abends trug.

Aber sonst sei dir die Tröstung teuer,
die du im Gewohntesten erkennst.
Wind ist Trost, und Tröstung ist das Feuer.

Hier- und Dortsein, dich ergreife beides
seltsam ohne Unterschied. Du trennst  
sonst das Weißsein von dem Weiß des Kleides.
Rainer Maria Rilke

Wunderliches Wort: die Zeit vertreiben!
Sie zu halten, wäre das Problem.
Denn, wen ängstigts nicht: wo ist ein Bleiben,
wo ein endlich Sein in alledem? -

Sieh, der Tag verlangsamt sich, entgegen
jenem Raum, der ihn nach Abend nimmt:
Aufstehn wurde Stehn, und Stehn wird Legen,
und das willig Liegende verschwimmt -

Berge ruhn, von Sternen überprächtigt; -
aber auch in ihnen flimmert Zeit.
Ach in meinem wilden Herzen nächtigt
obdachlos die Unvergänglichkeit.
Rainer Maria Rilke